Kulturhauptstadt Chemnitz 2025
Vor wenigen Tagen konnte ich ein Interview mit Stefan Tschök führen. Er selbst bezeichnet sich als waschechter Sachse, der sich eng mit Chemnitz verbunden fühlt. Der diplomierte Verkehrswirtschaftler arbeitete bis zu seinem Ruhestand mehr als 20 Jahre als Marketingleiter des Chemnitzer Nahverkehrsbetriebes. Als Autor widmet er sich vorwiegend Aphorismen und autofiktionalen Romanen.
C The Unseen – Chemnitz – die Ungesehene, das Unscheinbare war das Motto der Bewerbung um den Titel „Kulturhauptstadt Chemnitz 2025“. Herr Tschök, Sie waren bei dem Bewerbungsprozess dabei, sollte es bei den Aktionen für die Kulturhauptstadt nicht hauptsächlich um Kunst und kulturelle Projekte gehen, die von bleibender Dauer sind, also vordergründig um solche wie die Sanierung des Wohnhauses von Karl-Schmidt-Rottluff?
Nach meinem Dafürhalten gibt es zwei wesentliche Aspekte, die den Titel für eine Stadt ausmachen. Zum einen ist da das eigentliche Kulturhauptstadtjahr mit seinem Programm, den Menschen, die teilweise von weither kommen, um die Stadt und die Region zu besuchen und der damit verbundenen Aufwertung des Ansehens der Stadt. Aber die zweite Seite ist genauso wichtig: Was wird nach dem Jahr 2025 bleiben? Mit den insgesamt rund 30 Interventionsflächen gibt es da m. E. viele kleine und große städtische Areale, die auch nach 2025 vom Titel künden werden.
Wie passen da einige Projekte der Interventionsflächen wie z.B. ein Spiel- und Rastplatz „Am Feldschlösschen“ oder die Umgestaltung der Fläche am ehemaligen Güterbahnhof in Altendorf in das Bild? Sind das nicht alles „ganz normale“ städtische Projekte, die vordergründig eher nicht mit einer „Kulturhauptstadt“ zu verbinden sind?
Ich denke man muss verstehen, dass Interventionsflächen nicht nur gigantische Investitionen beinhalten müssen. Am besten nähert man sich der Antwort auf Ihre Frage an, wenn man sich den Begriff Kultur einmal vor Augen führt. Und der Kulturbegriff ist ja eben viel weiter aufgestellt, als der Begriff der Kunst. Ganz einfach ausgedrückt ist Kultur alles vom Menschen Geschaffene und Gestaltete, was sich von der reinen Natur abhebt. Und da gehören immaterielle Dinge dazu; wie gehen wir miteinander um? Wie wollen wir die Stadt insgesamt gestalten? Und so weiter und so fort. Insofern ist es sehr erfreulich, dass eine Menge auch unscheinbarer Flächen eine Aufwertung erfahren. Aber: Jetzt ist es auch notwendig, dass die Erhaltung und Pflege dieser Interventionsflächen für viele Jahre gesichert wird.
Über Kunst lässt sich ja bekanntlich „trefflich streiten“. Der „Purple Path“ ist ein Weg, der Kunstwerke in 38 Städte im weiteren Umland von Chemnitz verbindet. Wäre das viele Geld für diese, nicht immer unumstrittenen Kunstwerke auswärtiger Künstler, nicht besser für ortsansässige Künstler einzusetzen gewesen, die besser zur Identität der verschiedenen Orte betragen würden?
Oh, hier kann man wirklich lange und ausführlich diskutieren. Ich glaube begriffen zu haben, dass der kuratorische Ansatz des Purple Path darin besteht, international bekannte Künstler in der Kulturregion zu verorten, um damit auch eine breitere Aufmerksamkeit zu erzielen. Natürlich hätte man auch einen anderen kuratorischen Ansatz wählen können. Aber die „hiesige“ Kunst und Kultur findet sich ja heute schon in den Orten der Region. Und dass die einzelnen Kunstwerke zu teilweise vehementen Diskussionen führen, halte ich sogar für einen Gewinn. Schließlich und endlich hat jeder sein eigenes subjektiv-ästhetisches Empfinden. Wichtig ist doch, wie wir darüber diskutieren; mit Argumenten und nicht mit dem Presslufthammer!
Noch eine Frage, die viele Leser umtreibt: Wie wird die Nachhaltigkeit der vielen Kulturhauptstadt-Projekte gesichert? Schon heute ist abzusehen, dass die Haushaltslage der Stadt in den kommenden Jahren nicht viel besser wird.
Es wäre tatsächlich jammerschade, wenn es keine Bestrebungen gäbe, die Dinge, die im Rahmen der Kulturhauptstadt geschaffen worden sind, nicht über einen langen Zeitraum zu erhalten und dadurch nutzbar zu machen. Die Antwort lautet ganz einfach: Die Kommunalpolitik muss sich dieser Verantwortung stellen!
Herr Tschök, Sie habe das Buch geschrieben: „Was? Chemnitz?!“ mit dem Zusatz: Von den Risiken und Nebenwirkungen einer Kulturhauptstadt – Und warum am Ende (meist) alles gut wird.
Seit einiger Zeit sind Sie in der Region zu Talk und Lesung unter dem Motto „Und was haben wir davon?“ unterwegs. Können Sie uns jetzt schon etwas darüber berichten, was das Besondere an diesem Format ist und wie die Resonanz der Gäste ist?
Meine Tour verfolgte und verfolgt das Ziel, ein Gespür dafür zu bekommen, ob man sich auch (oder vielleicht gerade?) ein paar Kilometer von Chemnitz entfernt zur Kulturregion zugehörig fühlt. Bisher waren die Gesprächsrunden immer hoch interessant. Und natürlich wird eine große Bandbreite abgebildet, die sich auch häufig an dem Verständnis zu den Skulpturen am Purple Path entzündet. Aber genau das finde ich spannend; mit Menschen ins Gespräch kommen, die sich in ihren teilweise kleinen Orten ganz aktiv für ein reges kulturelles Leben einsetzen. Und das häufig ohne großen finanziellen Spielraum. Wir sind uns manchmal viel zu wenig dessen bewusst, wie viele engagierte Menschen es gibt, die sich abseits der großen Hotspots für Kunst und Kultur engagieren.“
Herr Tschök, ich danke Ihnen für Ihre Zeit und freue mich, dass Sie auf Ihrer „Talk und Lesetour“ auch zu uns nach Rabenstein kommen werden.
Heidemarie Rudolf, Redakteur der „Rabensteiner Blätter“